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Planung, Ausschreibung und Vergabe komplexer Brückenbauwerke

11. Mai 2021 |

Erfahrungsaustausch als Online-Seminar der Vereinigung der Straßen- und Verkehrsingenieure Baden-Württemberg (VSVI) am Dienstag 11. Mai 2021
Seminarleitung Dipl.-Ing. Gert Klaiber


Seminarinhalt
Mit dem Seminar werden aktuelle Entwicklungen im Großbrückenbau aufgenommen und vertieft. Bei komplexen Stahl- und Stahlverbundkonstruktionen und bei integralen Bauwerken reicht die Entwurfs- und Genehmigungsplanung zur Ermittlung hinreichend genauer Daten für eine belastbare Ausschreibung in der Regel nicht aus. Ausschlaggebend für die Schnittgrößen und die Materialverteilung solcher Bauwerke sind häufig Bau- und Spannungszustände, die mit Hilfe einer genaueren konstruktiven Durchbildung und Berechnung ermittelt werden müssen. Der Umgang mit den aus dieser Vorgehensweise resultierenden technischen und vertragsrechtlichen Besonderheiten wird anhand von praktischen Erfahrungen und Beispielen in den Seminarbeiträgen erläutert. Das Seminar ist gegliedert in drei Teile.

Im ersten Teil des Seminars werden die Grundlagen der Bauwerkserhaltung an den Hauptverkehrsrouten und die Umsetzung der Bau- und Erhaltungsprogramme bei der Autobahn GmbH des Bundes vorgestellt.

Prof. Dr.-Ing. Gero Marzahn, Leiter des Referates StB 24 Ingenieurbauwerke beim Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur und Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum geht in seinem Vortrag „Die Erhaltungsstrategie des Bundes -Planung und Bau von Brücken auf den Hauptverkehrsrouten“ auf Einzelheiten der Strecken- und Bauwerkserhaltung ein. Maßgeblich für die Aufstellung und Optimierung der Planungs- und Bauprogramme sind die verkehrliche Situation und der Bauwerkszustand entlang der Strecken. Bauliche Maßnahmen an hoch belasteten Strecken müssen aufgrund der hohen Staukosten von mehreren Hunderttausend Euro pro Tag auf den absolut notwendigen Umfang beschränkt werden. Die Vorgehensweise wird am Beispiel der Ertüchtigung wichtiger Rheinbrücken erläutert.

Prof. Dr.-Ing. Christian Lippold, Geschäftsbereichsleiter Planung, Bau, Innovation und Dipl.-Ing. Rainer Siegel, Abteilungsleiter Straßen- und Brückenbau bei der Autobahn GmbH Berlin erläutern die „Anforderungen an die Planung und Bauausführung von Brücken“ aus der Sicht der für die Umsetzung an den Autobahnen verantwortlichen Bundesgesellschaft. Aktuelle Schwerpunkte sind die Zusammenführung und Bündelung der Kompetenzen der bisherigen Autobahnverwaltungen der Länder und der im Autobahnbau bewährten Bund-Länder-Projektgesellschaft DEGES. Grundlage für die Aufstellung der Programme sind die Daten aus der Bestandsaufnahme und Zustandsbewertung der Bauwerke in den Ländern, ergänzt durch aktuelle Bauwerksprüfungen. Daraus abgeleitet werden die Erhaltungs- und Finanzierungsprogramme für den Ausbau und die Erhaltung.
In der Fünfjahresplanung für die Autobahnen und Bundesstraßen in der Verwaltung des Bundes stehen in den Jahren 2021 bis 2025 jährlich durchschnittlich 5,3 Milliarden Euro (ca. 3 Mrd. Erhaltung, 2 Mrd. Bedarfsplan und 0,3 Mrd. sonstige Investitionen) zur Verfügung. Knapp 1 Milliarde Euro pro Jahr davon entfallen auf die Erhaltung und Ertüchtigung von Ingenieurbauwerken.
Schneller und besser zu bauen mit möglichst geringen Einschränkungen der Streckenverfügbarkeit ist die Aufgabe eines „Runden Tisches Baumanagement“ bei der Autobahn GmbH. In einem mehrstufigen Innovationskonzept sollen die Tätigkeitsfelder „Planen, Bauen, Betreiben, Erhalten“ bei der Autobahn GmbH optimiert werden.

Im zweiten Teil des Seminars wird das Zusammenwirken der Entwurfs- und Ausführungsplanung in der Planungs- und Vergabepraxis näher beleuchtet und aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt.

Dipl.-Ing. Gregor Gebert, Abteilungsleiter Konstruktiver Ingenieurbau und verantwortlich für das Qualitätsmanagement bei DEGES Berlin, beschreibt das „Zusammenwirken der Entwurfs- und Ausführungsplanung“ bei Großbrücken anhand der Leistungsbilder einschlägiger Vorschriften und die Handhabung bei der DEGES. Kernfragen sind die erforderliche Planungstiefe für eine im Hinblick auf die veranschlagten Massen möglichst sichere Ausschreibung und die Optimierung der Ausführungsplanung im Sinne des Auftraggebers. Die Abgrenzung und Zuordnung der Teilleistungen erfolgen anhand der einschlägigen Regelwerke. Die sich daraus ergebenden Schnittstellen bei der Umsetzung und im Bauvertrag werden beleuchtet. Ziel ist die Minimierung von offenen Fragen in der Ausführungsplanung vor dem Abschluss des Bauvertrags und die Projektoptimierung hinsichtlich Bauzeit, Kosten und Qualität. Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Vergabe werden beschrieben und die Praxis und Umsetzung bei DEGES an Beispielen erläutert.

Dipl.-Ing. Walter Katzik, Referatsleiter Ingenieurbau beim Regierungspräsidium Karlsruhe berichtet über die „Praxis bei der Planung und Vergabe komplexer Brückenbauwerke“. Beschrieben werden die vielschichtigen Richtlinien und Vorgaben für den Brückenentwurf. Überwiegende Praxis bei üblichen Standardbauwerken ist die Vergabe der Ausführungsplanung an den Auftragnehmer Bau. Beschrieben werden Beispiele mit besonderen technischen Lösungen und mit Vergabe der Ausführungsplanung an den AN Bau. Die Vor- und Nachteile der Trennung von Entwurfs- und Ausführungsplanung werden dargestellt.

Im dritten Teil des Seminars werden verschiedene Beispiele modifizierter Planungs-und Vergabeverfahren und die sich daraus ergebenden Folgen für den Bauvertrag und den Bauablauf aus Sicht des Auftragsgebers, eines Fachanwalts und eines bauausführenden Unternehmens dargestellt.

Dipl.-Ing. Bernd Endres, Geschäftsbereichsleiter Brücken- und Ingenieurbau bei der Niederlassung Nordbayern der Autobahn GmbH erläutert die Vorgehensweise und Inhalte von „Präqualifikations- und Verhandlungsverfahren bei der Planung und Bauausführung“ anhand von Beispielen aus der Praxis. Beschrieben werden die grundsätzlichen Probleme und Fragestellungen bei der Ausschreibung und Vergabe komplexer Brückenbauwerke und die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes zur genaueren Ermittlung der Schnittgrößen und der Materialverteilung vor dem Abschluss des Bauvertrags. Sicherheitszuschläge bei der Kalkulation ohne genauere Berechnungen verursachen einen erheblichen Materialzuwachs und Bauzeitrisiken bei der Bauleistung. Um sichere Ausschreibungsunterlagen zu erhalten, wird eine vorgezogene geprüfte Ausführungsstatik unter Berücksichtigung der Abläufe bei der Bauausführung empfohlen.
Die verschiedenen Optionen einer offenen Ausschreibung mit und ohne Übernahme der vorgezogenen Planung durch den AN Bau werden anhand praktischer Beispiele und Erfahrungen beschrieben. Eine weitere Option ist die Durchführung eines nicht offenen Verfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb anhand geprüfter Ausführungsunterlagen und mit Übernahme der Planung durch das ausführende Unternehmen. Ziel ist die Herstellung einer größtmöglichen Sicherheit beim Auftraggeber und bei der ausführenden Firma für die Herstellung eines einwandfreien Bauwerks und die Vermeidung von Differenzen und Nachteilen auf beiden Seiten bei der Projektdurchführung. Praktische Beispiele werden genannt und beschrieben. Am Schluss des Vortrags erfolgt ein Ausblick auf die Zielsetzungen bei der digitalen Planung mit BIM.

Dr. Tobias Schneider, Partner und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der Kanzlei Kapellmann Rechtsanwälte München und Lehrbeauftragter an der TU München beschreibt die „Besonderheiten bei der Planung, Ausschreibung und Vergabe“ von komplexen Ingenieurbauwerken unter Anwendung modifizierter Verfahren als neues Modell der Vergabe. Beschrieben werden klassische Projektrisiken und Strategien zur Vermeidung. Zielsetzung ist die Klärung technischer und vertraglicher Einzelheiten vor dem Abschluss des Bauvertrags und ein möglichst ungestörter Bauablauf mit positiven Auswirkungen auf Bauzeit, Qualität und Kosten. Ergebnisse aus der Reformkommission Bau von Großprojekten werden in den Vergabeprozess transferiert. Beschrieben sind Optionen zur Verbesserung der Qualität im Vergabeprozess und ihre vertragsrechtliche Umsetzung. Empfohlen wird die frühzeitige Einbindung des Auftragnehmers und die Erarbeitung der besten Lösung im gegenseitigen Dialog. Die sachlichen und vertragsrechtlichen Aspekte dieses neuen Vergabe- und Vertragsmodells sind beschrieben.

Dipl.-Ing. Peter Wagner, Prokurist und Bereichsleiter Brücken und Ingenieurbau bei der Baugesellschaft Adam Hörnig Aschaffenburg, beschreibt mit dem Beitrag „Geprüfte Entwurfs- und Ausführungsplanung als Grundlage der Bauausführung“ die Konsequenzen für den Unternehmer. Die Ausschreibungsunterlagen werden mit der vorgezogenen Ausführungsplanung wesentlich umfangreicher, der Unternehmer braucht ausreichend Zeit für die Prüfung und Kalkulation. Bewährt hat sich eine nicht offene Ausschreibung mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb. Eine klare Beschreibung der Bauleistung und eine Vergütung des höheren Aufwands sind erforderlich. Das Streitpotenzial zwischen AG und AN Bau wird wesentlich geringer. Die Übernahme des Entwurf-splaners durch den AN Bau und eine Projektversicherung werden angeregt. Eine weitere Verbesserung der Vorgehensweise wird durch die zunehmende Verfügbarkeit digitaler Planung erwartet. Planungskapazitäten und technisches Knowhow der Unternehmen werden nicht mehr in vollem Umfang genutzt.

Ergebnisse und Schlussfolgerungen

Die Planung, Ausschreibung und Vergabe komplexer Ingenieurbauwerke wie es Großbrücken in der Regel sind, erfordert eine von der klassischen offenen Ausschreibung mit Vergabe der Ausführungsplanung an den AN Bau abweichende Vorgehensweise.
Belastbare Ausschreibungsunterlagen können nur mit einer genaueren Berechnung der Schnittgrößen unter Berücksichtigung der Bauzustände erstellt werden. Die Ermittlung einer belastbaren Materialverteilung und der Planung unter Einbeziehung eines Prüfingenieurs (Statisch- und konstruktive Prüfung) sind Voraussetzung für eine sichere Ausschreibung und verlässliche Angebote. Das Vorziehen der Ausführungsplanung ermöglicht die Klärung und Ausräumung von Umsetzungsproblemen vor dem Abschluss des Bauvertrags. Der Aufwand bei der Planung und Ausschreibung wird größer. Die Klärung schwieriger Sachverhalte vor Vertragsabschluss wirkt sich positiv auf Bauzeit, Kosten und Qualität der Bauwerke aus.
Weitere Differenzierungen und Optimierungsmöglichkeiten ergeben sich mit der Übernahme der Ausführungsplanung durch den AN Bau und in einem weiteren Schritt mit einem vorgeschalteten beschränkten Teilnahmewettbewerb und der Vorauswahl qualifizierter Unternehmen. Die Umsetzung der Entwurfsplanung in eine optimierte Ausführungsplanung kann ergänzend im Dialog mit mehreren im Teilnahmewettbewerb ausgesuchten Unternehmen erfolgen. Ein solches Vorgehen ermöglicht die Einbeziehung von Knowhow der Unternehmen in die Ausführungsplanung. Der dafür erforderliche zusätzliche Aufwand der Unternehmen wird vergütet. Die vertragsrechtlichen Besonderheiten sind zu beachten. Mit dem Fortschreiten der digitalen Planung werden die Möglichkeiten zur Konkretisierung der Planung vor Abschluss des Bauvertrags im Sinne des Stufenplans des BMVI verbessert und erweitert.
Die Entwicklung der Ausführungsplanung in enger Zusammenarbeit zwischen Entwurfsplaner, Prüfingenieur und ausführendem Unternehmen ist bewährte Praxis im internationalen Großbrückenbau. Mit dieser Vorgehensweise werden regelmäßig qualitativ hochwertige Bauwerke und eine hohe Sicherheit bei der Bauzeit und bei der Kostenentwicklung erreicht.

Gert Klaiber