Am 16.11.23 fand im Café Hirt, Deißlingen wieder eine zur Tradition gewordene Vortragsveranstaltung der Bezirksgruppe 12 statt. Dieses Mal stand nicht die „schwarze Kunst“ des Asphaltdeckenbaus im Fokus, vielmehr lautete das Thema: „Carbonfasern im Betonbau – Perspektiven für eine klimaschonende Bauweise“.
Im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Diskussion über klimaschonende Bauweisen gerät der Stahlbetonbau zunehmend in den Blickpunkt. Dabei spielt die Herstellung und Zusammensetzung des Zementes eine wichtige Rolle und wird bereits intensiv erforscht. Zusätzlich geht es um die Frage, wie der Ressourceneinsatz durch dünnwandigere Konstruktionen optimiert werden kann. Hier wird über Alternativen zum Betonstahl nachgedacht. Glasfaser- oder Carbonfaserbewehrungen bieten sich hier an, weil das Material nicht korrodiert. Mit diesem Wissen lassen sich viele Vorteile für Bauwerke und Bauteile ableiten, z. B. durch Verzicht auf die Betondeckung des Stahls, eine bis zu 7 Mal höhere, charakteristische Zugfestigkeit für Carbonbewehrung, sehr hohe Alkalibeständigkeit und Unempfindlichkeit gegen eine Vielzahl von aggressiven Medien.
Als Referent konnte auf Initiative von Vorstandsmitglied, Martin Lienhard, Herr Dr. Marcus Hinzen gewonnen werden, der als Leiter der Produktentwicklung und des Werkstofflabors bei der Firma Solidian GmbH fachkundig berichten konnte. Solidian hat sich in den letzten Jahren zu einem der führenden Hersteller von Glasfaser- und Carbonbewehrungen für das Bauwesen entwickelt. Das im nahen Albstadt gelegene Unternehmen ist eine Tochtergesellschaft der weltweit tätigen Groz-Beckert KG, die auf industrielle Maschinennadeln und Präzisionsteile für Herstellung textiler Flächen spezialisiert ist.
Herr Dr. Hinzen konnte aktuell von seiner Mitarbeit im Unterausschuss „Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung“ beim Deutschen Ausschuss für Stahlbetonbau (DAfStb) berichten. Bisher war für derartige Konstruktionen eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) oder eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) erforderlich. Mit der demnächst zu erwartenden Aufnahme der Bemessungsgrundsätze in die Liste der Technischen Baubestimmungen beim DIBt handelt es sich um eine geregelte Bauweise, für die nur noch die Bewehrungselemente selbst eine Produktzulassung benötigen.
Die Bewehrungselemente werden bevorzugt als Stäbe oder engmaschige Gitter vertrieben. Dabei können die Gitter als Rollenware oder als flächige Matten angeboten werden. Die Bewehrungsstäbe können ebenfalls aufgerollt oder zu Stabmatten, analog den Baustahlmatten, verarbeitet werden. Intensiv wird an der Herstellung von bügelartigen Elementen gearbeitet.
Anwendungen mit Carbonbewehrung erlauben Auftragsstärken ab ca. 10 mm im Bereich der Bauwerksverstärkung. Bei Neubauteilen, insbesondere im Bereich des Architekturbetons, werden meist Bauteilstärken ab 3 cm (statt häufig 8 cm) umgesetzt. So ergeben sich geometrisch wie auch gewichtstechnisch Vorteile in der Anwendung. Bei Instandsetzung von Parkhäusern kann durch die geringeren Auftragsstärken ggf. eine Reduzierung der Durchfahrtshöhe vermieden werden. Interessant sind auch Kombinationslösungen aus Edelstahlbewehrungen und Glas- oder Carbonbewehrungen. Die gewichtstechnischen Vorteile sind in der Logistik u. a. als geringere Transportkosten und weniger aufwändige Kranarbeiten (leichtere Kräne) zu finden. Bei Fassadenelementen können die Aufhängungen einfacher gestaltet werden.
Hinsichtlich des Ressourcenverbrauchs kann je nach Anwendungsfall von einer Materialeinsparung von bis zu 50 % und einer CO2-Reduktion von bis zu 30 % ausgegangen werden.
Lebhaft diskutierten die Anwesenden über Randbedingungen und Auswirkungen dieser Technologie. Aktuell handelt es sich bei dem Ausgangsstoff zur Carbonfaserherstellung noch um ein erdölbasiertes Material. Es wird aber bereits intensiv an alternativen Ausgangsprodukten aus nachwachsenden Rohstoffen gearbeitet. Bei der Beschreibung des Herstellverfahrens muss man unterscheiden zwischen Stäben und Gittern: Bei Stäben werden viele Rovinge (Faserbündel auf einer Spule) zu einem dicken Faserkern gebündelt und getränkt. Bei den Gittern werden die Faserbündel der Spule kreuzweise gelegt und vernäht und dann getränkt. So entsteht die gitterartige Struktur.
Eine zusätzliche Besandung kann die ohnehin guten Verbundeigenschaften nochmal deutlich verbessern. Die Recyclingfähigkeit ist gegeben und bereits nachgewiesen worden.
Abschließend bedankte sich unser Bezirksgruppenvorsitzender, Herr Gerhard Holzbaur, bei Herrn Dr. Hinzen für den äußerst kurzweiligen und kompetenten Vortrag.
gez. Martin Lienhard / Gerhard Holzbaur, 27.11.23